Bei RECASAS sind wir überzeugt: Heilen beginnt dort, wo Menschen nicht als Patient*innen mit Symptomen gesehen werden, sondern als Menschen mit Geschichten.
Zu lange wurde seelisches Leiden als medizinisches Problem verstanden – als etwas, das diagnostiziert, behandelt oder gemanagt werden muss.
Doch hinter jedem sogenannten Symptom steht eine Geschichte von Macht, Bedrohung und Bedeutung: was dir widerfahren ist, wie es dich geprägt hat und welche Wege du gefunden hast, um zu überleben.
Dieses Verständnis steht im Zentrum des Power Threat Meaning Framework (PTMF) – eines bahnbrechenden Ansatzes, den die Psychologinnen Lucy Johnstone und Mary Boyle für die British Psychological Society entwickelt haben.
Anstatt zu fragen „Was stimmt nicht mit dir?“, lädt das Framework dazu ein, andere Fragen zu stellen:
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Was ist dir passiert? (Wie hat Macht in deinem Leben gewirkt?)
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Wie hat es dich beeinflusst? (Welche Bedrohungen sind daraus entstanden?)
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Welchen Sinn hast du darin gefunden? (Welche Bedeutung hat das für dich?)
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Was musstest du tun, um zu überleben? (Welche Strategien oder „Bedrohungsreaktionen“ haben dir geholfen?)
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Welche Stärken und Ressourcen stehen dir zur Verfügung?
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Und schließlich: Was ist deine Geschichte?
Diese Fragen ersetzen die Diagnose durch Verstehen.
Sie zeigen, dass seelische Not kein Krankheitsbild ist, sondern eine nachvollziehbare menschliche Antwort auf Belastung und Machtungleichgewicht – sei es sozial, ökonomisch, kulturell oder zwischenmenschlich.
Jenseits des medizinischen Modells
Das medizinische Modell geht davon aus, dass psychisches Leiden aus etwas in der Person entsteht – einer chemischen Fehlsteuerung, einer Störung, einem Defekt.
Das PTMF öffnet eine andere Perspektive: Es versteht Leid im sozialen und zwischenmenschlichen Zusammenhang.
Es anerkennt, dass Trauma, Diskriminierung, Armut und Verlust keine Randnotizen sind, sondern Teil der Geschichte selbst.
Und es schafft Raum für Kreativität, Spiritualität und Kultur als Quellen von Sinn und Resilienz.
Für RECASAS ist dieser Perspektivwechsel grundlegend.
Er erlaubt uns, eine Kultur zu schaffen, in der Menschen die Autor*innenschaft über ihre eigene Geschichte zurückgewinnen – durch Schreiben, Lesen, Kunst, Film und gemeinsamen Austausch.
Anstelle von Behandlungsplänen schaffen wir Räume für Imagination und gegenseitiges Lernen.
Anstelle von Anpassung fördern wir Neugier, Ausdruck und Selbstbestimmung.
Wie wir das PTMF bei RECASAS nutzen
Die Fragen des Power Threat Meaning Frameworks sind stiller Leitfaden unserer Arbeit.
In einer Schreibgruppe können sie als Impulse auftauchen: Was hast du gelernt zu tun, um dich sicher zu fühlen? Was wünschst du dir, dass andere über deine Geschichte verstehen?
In einer Gesprächsrunde leiten sie unser Zuhören: Wir hören nicht nach Symptomen, sondern nach Bedeutung.
Auch unsere Organisationsstruktur orientiert sich daran – RECASAS ist bewusst peer-geführt, partizipativ und gemeinschaftlich gestaltet, nicht hierarchisch.
Das PTMF verbindet uns zudem mit internationalen Bewegungen wie Intentional Peer Support und der Academy of Peer Services in New York City – Ansätze, die wie RECASAS Erfahrungswissen, Dialog und gemeinsames Wachsen höher schätzen als Diagnose und Kontrolle.
Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Verstehens
Das Power Threat Meaning Framework zu übernehmen, ist mehr als eine fachliche Entscheidung.
Es ist eine kulturelle Haltung – ein Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Gleichwürdigkeit und zu einer Rückgewinnung von Sinn dort, wo Systeme ihn entziehen.
Es sagt jedem Menschen: Du bist nicht kaputt. Du reagierst auf das Leben auf die bestmögliche Weise, die dir zur Verfügung stand.
Und es lädt uns alle ein – als Peers, als Bürger*innen, als Kreative –, psychische Gesundheit neu zu denken: jenseits von Diagnosen, jenseits von Klinikmauern.
Mach mit
In den kommenden Monaten wird RECASAS Gelegenheiten bieten, dieses Framework gemeinsam zu erkunden – online und vor Ort – in Lese- und Studiengruppen.
Wenn du helfen möchtest, diese neue Kultur des Verstehens mit aufzubauen, kannst du:
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an einer Power Threat Meaning Study Group teilnehmen,
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deine Zeit, dein Wissen oder deine finanzielle Unterstützung einbringen – als Teil unseres wachsenden Kreises von Mitgestalterinnen und Gesellschafterinnen,
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oder diese Vision einfach weitertragen – zu Menschen, die glauben, dass Geschichten, nicht Diagnosen, der Schlüssel zum Heilen sind.
Gemeinsam können wir neu gestalten, was es bedeutet, füreinander da zu sein – mit geteilter Macht, wiedergewonnenem Sinn und Kreativität im Mittelpunkt.
Wenn Du das Power Threat Meaning Framework näher kennenlernen möchtest – die vollständige Publikation von Lucy Johnstone und Mary Boyle ist kostenlos auf der Website der British Psychological Society verfügbar hier: https://www.bps.org.uk/member-networks/division-clinical-psychology/power-threat-meaning-framework

